In Deutschland leben Schätzungen zufolge zwischen 200.000 und 500.000 Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus. Eine genauere Schätzung ist leider nicht möglich, da eine Erhebung nicht durchführbar ist. Bei diesen Menschen wird oftmals der Begriff der Illegalität bzw. Illegale verwendet. Allerdings darf man diesen Begriff nicht nutzen, um die Menschen und deren Lebenssituation zu beschreiben, sondern nur in Bezug auf die fehlende rechtliche Grundlage. Denn illegal bedeutet, gegen geltendes Recht zu verstoßen und strafbare Handlungen durchzuführen.

Betroffener Personenkreis und Gründe

Menschen, die keinen gültigen Aufenthaltsstatus besitzen sind in erster Linie Flüchtlinge, deren einziges „Verbrechen“ darin besteht, die Grenze zu Deutschland überschritten zu haben und in diesem Moment gegen die hier geltenden ausländerrechtlichen Bestimmungen zu verstoßen.
Die Gründe, warum diese Menschen keine Aufenthaltsgenehmigungen besitzen, sind sehr vielfältig. Oftmals liegen sie in der gesetzlichen Bestimmungen selbst, nach denen manche gar keine Chance haben, ein Asylverfahren zu beantragen, weil sie entweder in anderen Staaten gestoppt oder an die Grenze abgewiesen werden. Auch spielt die Herkunft eine große Rolle. Aus „sicheren“ Heimatländern stammenden Personen steht kein Asyl zu. Aber was ist sicher? Und genau deswegen versuchen viele, dennoch die Grenze zu überqueren und sind dann „illegal“.
Im Alltag ist es den Menschen dabei noch nicht einmal anzusehen, wie ihr Status ist, da sie sich anpassen, unauffällig verhalten oder gar untertauchen. Denn in erster Linie haben sie Angst davor, entdeckt zu werden und in die Abschiebung zu gelangen.

Gesundheitliche Folgen der Lebenssituationen

Sowohl Behörden als auch Hilfeeinrichtungen stellen zunächst eine Gefahr da. Unter diesem permanenten Druck, entdeckt zu werden, können psychosomatische Erkrankungen entstehen. Hinzu kommen die eher schlechten Wohnsituationen und Arbeitsbedingungen. Diese Gründe und auch die Angst führen dazu, dass nicht sofort medizinische Hilfe gesucht wird, sondern erst bei ernsten Beschwerden.
Die medizinische Versorgung stellt sich sehr schwierig dar. Zum einen, weil erst verspätet mit der Therapie begonnen werden kann und zum anderen, weil diese nicht kontinuierlich zu Ende geführt wird. Auch die Kosten der Behandlung stellen eine große Hürde dar. Vor allem, wenn die Personen sich nicht in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis befinden.

Um hier eine Lösung zu finden, muss das Sozialrecht verstanden werden. Dieses unterscheidet nämlich noch einmal differenzierter in Bezug auf die aufenthaltsrechtliche Situation der Flüchtlinge.

Asylbewerberleistungsgesetz

Unter das Asylbewerberleistungsgesetz (§ 1 Abs. 1 AsylbLG) fallen Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge, Flüchtlinge im Asylverfahren und Personen mit Krankheiten oder anderen Abschiebehindernissen. Diesen Personen steht im Vergleich zu anderen nur eine eingeschränkte medizinische Versorgung offen.

Medizinische Leistungen

Nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist diesem Personenkreis nur bei akuten Erkrankungen bzw. schmerzhaften Erkrankungen eine Behandlung zu gewähren. Chronische Erkrankungen (Diabetes, Neurodermitis, usw.) und Behinderungen werden nur bei einer Verschlechterung des Zustands behandelt. Neben der medizinischen Versorgung gehören aber auch Therapien (z.B. bei Asthma), Medikamente (z.B. bei Bluthochdruck) etc. zu den zu gewährenden Leistungen. Bei Zahnersatz gelten andere Bestimmungen. Auch Maßnahmen, die der Sicherung und Erhaltung der Gesundheit dienen, sind zu gewähren (§ 6 AsylbLG).
In der Praxis gibt es hier jedoch oftmals Probleme, da vom zuständigen Sozialamt ein entsprechender Krankenschein für die ambulante Behandlung ausgestellt werden muss. Also die Kostenübernahmeerklärung. Problematisch ist hierbei, dass die Behördenmitarbeiter nicht den Hintergrund besitzen, die Entscheidung zu treffen, ob eine entsprechende Behandlung notwendig ist.
Diese Vorgehensweise ist nicht rechtens. Auch Krankenhausbehandlungen werden oft fälschlich verwehrt ( nur „lebensnotwendige oder unaufschiebbare“ Behandlung). Eine Behandlung von psychischen und psychosomatischen Erkrankungen (Folterfolgen, Traumata) werden meist verweigert.
So weit nun die rechtliche bzw. gesetzliche Regelung zu den medizinischen Leistungen. Allerdings bleibt zu erwähnen, dass es noch den hippokratischen Eid gibt.

Ärztliche Ethik

Auch wenn der Leistungsdruck und die wirtschaftlichen Aspekte sowohl in Krankenhäusern als auch in Arztpraxen stetig steigen, so obliegt es dem Arzt, die Entscheidung zu treffen, ob eine Behandlung zu erfolgen hat. Unabhängig von Herkunft und Aufenthaltsstatus des Patienten. Dies ist dem hippokratischen Eid bzw. dem Genfer Gelöbnis zu entnehmen, den alle Ärzte ablegen. In diesem heißt es:

Ich werde mich bei der Ausübung meiner ärztlichen Pflichten meinen Patienten gegenüber nicht beeinflussen lassen durch Alter, Krankheit oder Behinderung, Konfession, ethnische Herkunft, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, politische Zugehörigkeit, Rasse, sexuelle Orientierung oder soziale Stellung.

Auch die Bundesärztekammer verweist in ihrer Musterberufsordnung auf die Notwendigkeit der Behandlung („Ärztinnen und Ärzte üben ihren Beruf nach ihrem Gewissen, den Geboten der ärztlichen Ethik und der Menschlichkeit aus. Sie dürfen keine Grundsätze anerkennen und keine Vorschriften oder Anweisungen beachten, die mit ihren Aufgaben nicht vereinbar sind oder deren Befolgung sie nicht verantworten können.“).

Die Behandlung von Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus ist also definitiv nicht strafbar. Die Ärzte sind verpflichtet, medizinische Hilfe zu leisten. Wenn sich die Behandlung objektiv auf die zu erfüllenden Pflichten des Arztes beziehen, so handeln die Ärzte vollkommen rechtssicher.

Das bedeutet, dass Flüchtlinge auch gegenüber Behörden hierauf verweisen können, sollte ihrer Meinung nach eine medizinische Behandlung angebracht sein. Denn in erster Linie ist es die Entscheidung eines Arztes ob und in welchem Umfang eine Behandlung nötig ist und nicht die des Sachbearbeiters im Sozialamt.
Sollten hieraus Folgen aufgrund unterlassener Hilfeleistung entstehen, so drohen strafrechtliche Konsequenzen auch gegenüber Behörden und deren Mitarbeitern.

Kosten der Behandlung

Ärzte sind berechtigt, für ihre erbrachten Leistungen ein Honorar zu verlangen. Dieses Recht steht nicht in Konkurrenz zu ihrer Pflicht, medizinische Hilfe zu leisten. Man kann also vom Arzt nicht erwarten, die Behandlung kostenlos durchzuführen. Allerdings ist der Arzt gehalten, auch gerade bei Patienten ohne Aufenthaltsstatus, dieses Honorar an die persönlichen Lebensbedingungen und Lebenssituation des jeweiligen Patienten in Einklang zu bringen.

Ärztliche Schweigepflicht

Es sei in diesem Zusammenhang auch noch einmal erwähnt, dass die Ärzte alle der Schweigepflicht unterliegen. Das bedeutet, dass die Patientendaten weder an die Polizei noch an die Ausländerbehörden oder andere öffentliche Stellen seitens der Ärzte übermittelt werden. Diese Schweigepflicht gilt auch für das gesamte Praxis- und Krankenhauspersonal. Dieses wird als „berufsmäßig tätige Gehilfen“ geführt.

Völkerrechtliche Grundlagen

Deutschland ist dazu verpflichtet, jedem die Möglichkeit der medizinischen Versorgung zu gewährleisten. Dies ist im Artikel 12 des UN-Paktes (PDF) festgelegt: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an. Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechts umfassen die erforderlichen Maßnahmen … zur Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im Krankheitsfall den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Versorgung sicherstellen.“

Nach Artikel 2 sind die Vertragsstaaten, zu denen auch Deutschland gehört, dazu verpflichtet, diesen Grundsatz allen in seinem Gebiet befindlichen Personen ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, der nationalen oder sozialen Herkunft oder des sonstigen Status gewährten.

Somit steht jedem, auch dem Flüchtling ohne Aufenthaltsgenehmigung rein formal der Zugang zur medizinischen Hilfe offen. Allerdings droht ihnen dadurch die Entdeckung und somit die Abschiebung.

Alternativen

Neben den behördlichen Hilfen auf medizinische Versorgung gibt es allerdings auch Schlupflöcher. Wer sich in einem sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnis befindet, der hat Anspruch auf Leistungen, denn mit einem solchen Arbeitsverhältnis tritt auf die gesetzliche Krankenversicherung ein. Diese ist vollkommen losgelöst vom Aufenthaltsstatus, da ein Austausch bzw. Datenabgleich der jeweiligen Behörden nicht erfolgt. So kann also ein Flüchtling ohne gültige Papiere durchaus die medizinische Versorgung für sich in Anspruch nehmen.

Netzwerke

Eine andere Möglichkeit, damit Flüchtlinge ohne Papiere dennoch in den Genuss der medizinischen Versorgung kommen können, sind die vielen Beratungsstellen, die ihre Hilfe anbieten. Vor allem die medizinischen Netzwerke wie medizinische Flüchtlingshilfen sind hier vorrangig zu nennen.

Bei den medizinischen Flüchtlingshilfen handelt es sich meistens um Vereine, die den Menschenrechtsorganisationen (Human Rights Organisation) zugeordnet werden. Diese Vereine arbeiten daran, die Lebenssituation von Flüchtlingen zu verbessern. Diese sind wie bereits erwähnt, aufgrund der aktuellen Gesetzgebung in Deutschland im Bereich der medizinischen Versorgung anders gestellt als Deutsche oder Menschen mit einem Aufenthaltsstatus.
Zu den Hilfeleistungen, die von den Netzwerken angeboten werden, zählen die medizinische Hilfe. Diese richtet sich an Flüchtlinge

  • die keinen Aufenthaltsstatus besitzen ( weil sie keine Papiere haben – Angst haben, eine Praxis aufzusuchen)
  • denen die Kostenübernahme durch das Sozialamt trotz gültiger Papiere für gesundheitliche Versorgung verweigert worden ist
  • die aufgrund ihrer Erfahrung von Folter, Krieg oder Vertreibung dringend psychologische Hilfe brauchen.

Die Hilfe sieht vor, die Patienten an fachkundige Ärzte zu vermitteln, um ihnen die notwendige medizinische Versorgung zu ermöglichen. Die Ärzte hingegen haben sich dazu bereit erklärt, die Patienten kostenlos und anonym zu behandeln. Das bedeutet, dass keinerlei Meldung an behördliche Stellen erfolgt.

Diese Hilfe, die die Netzwerke anbieten, ist umso wichtiger, da gerade so den Flüchtlingen der Zugang zu medizinischer Versorgung geboten wird und ihnen gleichzeitig auch die Angst genommen wird, sich vertrauensvoll an Menschen zu wenden, um Hilfe zu bekommen.
Gerade dann, wenn schwere Erkrankungen vorhanden sind oder auch starke psychische Störungen vorliegen, bieten die Netzwerke oftmals den letzten Anker. Die Netzwerke sind mittlerweile in allen großen Städten Deutschlands vertreten. Die bekanntesten Netzwerke sind die MediNetze, aber auch medizinische Flüchtlingshilfen oder andere Namen finden sich hier wieder, so dass eine nahezu lückenlose medizinische Grundversorgung auch für Menschen ohne Aufenthaltsstatus in Deutschland gewährleistet ist.

Umgang und Reaktionen der Behörden mit dem Problem

Aufgrund der Flüchtlingswelle 2015 und dem damit verbundenen rasanten Anstieg von Asylanträgen und der Problematik der Menschen ohne Aufenthaltsstatus haben mittlerweile auch viele offizielle Stellen den hier dringend notwendigen Handlungsbedarf erkannt. Neben der privaten Hilfe, die durch die Netzwerke angeboten wird, gehen manche Kommunen einen ähnlichen Weg. So hat die Freie Hansestadt Bremen beispielsweise eine humanitäre Sprechstunde eingeführt.
Unter diesen Rahmenbedingungen findet eine für die jeweilige Erkrankung eine Basisbehandlung statt. Es werden die notwendigen Maßnahmen getroffen, die der Gesunderhaltung und Heilung dienen. Des Weiteren können sich die Patienten hier rund um das Thema Gesundheit beraten lassen. Die Ärzte, die diese Sprechstunde durchführen, gehören dem Gesundheitsamt an. Allerdings unterliegen diese ebenfalls der ärztlichen Schweigepflicht. Ein Austausch der Daten mit anderen Dienststellen findet nicht statt.
Hier können Menschen ohne Papiere beim Gesundheitsamt ihre medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Die Behandlung erfolgt anonym. Die Patienten brauchen ihren Namen nicht zu nennen. Die Behandlung ist kostenlos und es bedarf auch keiner vorherigen Anmeldung bzw. Terminvereinbarung.